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Über Europäische Schafwolle

Seit ihrer ersten Domestizierung in den westasiatischen Ebenen im heutigen Iran in der Mittelsteinzeit (7000-8000 v. Chr.) werden Schafe als Nutztiere in einer Vielzahl von agrarökologischen Zonen gehalten, die sich in ihren klimatischen Bedingungen und Lebensräumen stark unterscheiden. Gezüchtet aus nur drei ursprünglichen Wildschafrassen (dem asiatischen Urial und Argali sowie dem europäischen Mouflon), hat sich das Schaf dennoch als das anpassungsfähigste unserer domestizierten Tiere erwiesen und eine größere Anzahl von Rassen, Arten und Gattungen hervorgebracht als jede andere Tierart.

 

Es ist dokumentiert, dass es weltweit bis zu 900 verschiedene Schafrassen gibt, von denen viele Kreuzungsrassen aus zwei oder mehreren verschiedenen Rassen, Arten oder Gattungen sind. In Europa gibt es viele dieser verschiedenen Schafrassen. Einige sind als ursprüngliche heimische Rassen bekannt, andere existieren als Kreuzungsrassen. In Europa gibt es mehr als 300 verschiedene Schafrassen, von denen zwei Drittel heute als eigenständige Rassen anerkannt sind.

 

Wo immer der Mensch sich niedergelassen hat, hat er überlebt, weil er Schafe hatte. Kein anderes domestiziertes Tier hat sich bei der weltweiten Besiedelung als so erfolgreich erwiesen und sich so anpassungsfähig an das jeweilige Futterangebot und die Vegetation gezeigt, wie das Schaf. Schafe waren die optimale Lösung, die die Menschen über Jahrtausende hinweg fanden, um sich zu ernähren und um sich zu kleiden, aber auch, um die biologische Vielfalt zu erhalten, Kulturlandschaften zu bewahren, die Brandgefahr durch stete Beweidung zu verringern und selbst unter schwierigsten klimatischen Bedingungen oder aber auch in schwer zugänglichen Bergregionen, auf kleinen unwirtlichen Inseln oder sogar in Steppen- und Trockengebieten sich zu behaupten und Lebensräume zu erschließen um diese dann für uns nachhaltig zu erhalten.

 

Die verschiedenen Schafrassen sind sehr gut an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst. Einige haben besonders harte Klauen und sind dadurch perfekt an bergiges Gelände angepasst, andere sind klein und stämmig, um den Winden auf den Inseln zu trotzen, oder wieder andere Schafrassen bevorzugen grünes Weideland oder lieber dornige Pflanzen, je nachdem was ihnen in ihrem Lebensraum angeboten wird. Bei anderen Schafrassen können die Mutterschafe im Schnee lammen oder andere haben lange Mischwollen, die Wollfasern und Wollhaare enthalten, um dadurch in der Lage zu sein, das Wasser von kurzen, heftigen Regenfällen schnell an sich abtropfen zu lassen. Wiederum andere Schafrassen haben Hörner, um sich und ihre Artgenossen zu schützen.

 

So entwickelten sich unsere Schafe über viele Jahrtausende hinweg als einheimische Zuchtpopulationen, die sich an ihre lokalen Lebensräume anpassten und keiner künstlichen Zuchtselektion ausgesetzt waren. Zur Zeit der Römer gab es die erste echte Zuchtselektion auf Wolle außer der Selektion nach Fleisch und Milchertrag. Zu dieser Zeit verbreiteten sich die weißköpfigen Schafe auf dem europäischen Kontinent. Fortan wurden ihre Wollen selektiert nach feinen oder groben Wollen, Feinwollen und Mischwollen, mit oder ohne Filz, bauschig, trocken oder fettig, lang oder kurz, weiß, grau, braun, schwarz oder gemischtfarben, gelockt, gekräuselt oder glatt, mehr oder weniger elastisch, glänzend,... eine unendliche Bandbreite von Wolleigenschaften, die es ermöglichten, die Verwendung der Wolle nach den Bedürfnissen der Menschen zu differenzieren. Trotz ihrer langen Zuchtgeschichte fand die größte Entwicklung in der Diversität unserer Schafe in einem wirklich kurzen historischen Zeitraum zwischen 1850 und 1950 statt, als viele der uns heute bekannten Schafe als eigenständige Rassen anerkannt und von da an getrennt gezüchtet wurden und man erstmals mit der Erfassung von Zuchttieren begann.

 

Schnell wurde dabei erkannt, dass die Artenvielfalt der Schafsrassen für die Erzeugung einer so breiten Palette von Produkten von grundlegender Bedeutung ist.

 

Wolle ist in der Tat allgegenwärtig: zum Kleiden, Schlafen, Wohnen, Spielen, Basteln...

 

Wir verwenden Strickwolle für Mützen, Schals, Handschuhe, Pullover, Jacken, Mäntel, Kleider, Schals, Hausschuhe, Hüte, Hosen, Socken, Schmuck (...), wir häkeln, weben oder filzen Wolle. Wolle kann sowohl handwerklich als auch industriell genutzt werden

 

Aber auch für Matratzen, Bettdecken, Kissen, Futons, Decken, Flugzeugsitze, Schafwolldüngepellets, Wildschutzmittel, Jurten, Feuerwehruniformen, technische Sportbekleidung, Kunst, Skulpturen, Kuscheltiere, Windeln, Binden, Pflaster, Windschutzscheibenpolitur, Anti-Dekubitus-Matratzenauflagen, Schottenröcke, Billardtischbeläge, Loden, Walkstrick, Wärme- und Schalldämmung, Teppiche, Hocker, Puppen, Beleuchtung, Borten und Abzeichen, Sattlerwaren,… die Liste kann fast unendlich weitergeführt werden so vielseitig ist Wolle nutzbar.

 

All diese Nutzungsmöglichkeiten von Wolle haben die menschliche Kultur tiefgreifend geprägt, sowohl im Handwerk als auch in den technischen Erfindungen zur Verarbeitung der Wolle, in den großen Religionen ebenso wie in der Küche, der Musik und der Kunst.

 

In einigen Regionen ist die Wollverarbeitung hauptsächlich eine familiäre, dörfliche oder zumindest lokale Tätigkeit und Tradition geblieben. In anderen Regionen hat sie zu einer immensen wirtschaftlichen Entwicklung und großem Reichtum geführt. Beispielshaft seien hier nur die Textilzentren in einigen europäischen Regionen wie Bradford (UK), Verviers (BE), Biella (IT) und Lille (FR) erwähnt.

 

Ganze Sektoren der Woll- und Textilindustrie in Europa sind heute verlagert oder bedroht. Doch ganz in unserer Nähe kümmern sich Schäfer um unzählige Schafe in unzähligen verschiedenen Lebensräumen, Unternehmen produzieren und innovieren, Handwerker schaffen und geben ihr Know-how weiter, Kinder kuscheln sich in die Wärme des Vlieses.

 

Jeder von uns kann die Geschichte der Schafe, ihrer Wolle und des Bandes, das sie mit jedem einzelnen von uns verbindet, weiterschreiben.

Europäische Schafwolle